Die klassischen Karrieremöglichkeiten für Promovierende in der Produktionstechnik wurden hier bereits vorgestellt. Entlang der Wertschöpfungskette in mittelständischen Unternehmen gibt es verschiedene typische Jobs für die hoch ausgebildeten Talente, wie beispielsweise die Vertriebsleitung, die Entwicklungsleitung oder die Produktionsleitung. Viele möchten nach dem Einstieg in ein Unternehmen über eine dieser Positionen später einmal in die Geschäftsführung. Die Berufsbilder orientieren sich aber an der alten Wertschöpfungswelt. Unsere Welt verändert sich aber gerade so stark, dass wir viele der Auswirkungen noch nicht einschätzen können. Das gilt auch für die Berufsbilder.
Denken wir einmal an nur zwei Megatrends: Die Digitalisierung und die Klimakatastrophe. Durch die Digitalisierung sind schon viele neue Berufsbilder entstanden und werden in Zukunft noch entstehen. Der menschengemacht Klimawandel und die Folgen für die Gesellschaft werden endlich in vielen Bereichen als eine Bedrohung gesehen und rücken so bei der Politik, den Unternehmen und den Privatpersonen in das Bewusstsein. Gerade die Unternehmen befinden sich hier in einem Bewusstseinswandel. Viele Konzerne haben es bereits getan und Klimaziele für die nächsten Jahre ausgerufen. Jetzt ziehen auch die mittelständischen Unternehmen nach und machen sich auf den Weg zu einer CO2-neutralen Wirtschaft. Und damit werden neue Aufgaben auf die Unternehmen zukommen, für die neue Berufsbilder benötigt werden. Ich werde im Folgenden versuchen auf diese Veränderungen für die Unternehmen durch die Digitalisierung und den Klimawandel einzugehen und daraus neue Jobs für promovierte Produktionstechnikerinnen und Produktionstechniker ableiten.
Produktionstechnik vs. Data Scientists
Fangen wir mit dem leichteren Teil an, der Digitalisierung. Wir alle wissen, dass die Digitalisierung der Unternehmen weiter voranschreiten wird und sich das Geschäftsleben dadurch vollkommen ändern wird. Daten sind das neue Öl, heißt es immer. Aber was bedeutet das für die Unternehmen? Aus dem B2C-Bereich wissen wir das schon. Wir alle kennen die von Daten getriebenen Geschäftsmodelle von GAFA (Google, Amazon, Facebook und Apple) oder anderen digitalen Unternehmen. Diese Unternehmen denken in Daten und leiten aus den Daten alles Mögliche ab. Dabei werden alle Daten erstmal aufgenommen und später von Data Scientists analyisert und in neue Geschäftsfelder oder Optimierungen überführt. Im B2B-Bereich sind wir davon noch etwas weg. Die Industrie 4.0 soll diese Konnektivität vollständig ermöglichen, so dass Daten gesammelt werden können. Digitale Zwillinge sollen Vorhersagen zu Produktionswegen auf globalen oder sehr detaillierten Ebenen treffen und dieses wieder mit Daten verbinden. Dr.-Ing. Daniel Trauth, CEO der senssering GmbH, einem Startup aus dem Umkreis des renommierten Werkzeugmaschinenlabors (WZL) in Aachen, fasst die Entwicklungen rund um die Digitalisierung auf den Punkt gebracht zusammen. Er spricht davon, dass die Digitalisierung kein weiteres Tool zur Optimierung von Prozessen oder Maschinen ist, sondern ein Tool, um mit Daten neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.
Die Digitalisierung ist kein Optimierungstool. Es ist ein Geschäftsmodelltool!
Dr.-Ing. Daniel Trauth
Co-Founder senseering GmbH und ehemaliger Oberingenieur am renommierten Werkzeugmaschinenlabor (WZL) der RWTH Aachen
Für Unternehmen bedeutet das eine enorme Veränderung. In einer Umfrage vom Bundesverband für Personalmanager aus dem Jahr 2018 wurden Personalmanager gefragt, welche Veränderungen auf das Personal zukommt. Hier geht es zwar um das gesamte Personal und nicht die hochqualifizierten Experten und Führungskräfte, aber es zeigt, wo die Reise hingeht. Mehr als 80% der befragten PersonalmanagerInnen denken, dass in den nächsten 5 Jahren (zum Zeitpunkt der Umfrage) aufgrund der Digitalisierung völlig neue Berufsbilder in ihren Unternehmen entstehen werden. Zusätzlich werden sich die Anforderungen an bestehende Mitarbeitende verändern. Am deutlichsten wird das beim Thema IT-Fachkenntnisse und Programmierung. Hier sehen die befragten PersonalmanagerInnen heute wenig Fachkenntnisse im Unternehmen. 72% der Befragten finden aber, dass diese Fähigkeit in 5 Jahren zunehmen muss. Unternehmen müssen also das Thema Digitalisierung neu Denken.
Klimaschutz ist Chefsache
Beim Thema Klimaschutz ist das Ganze leider nicht so einfach, weil wir uns hier erst am Anfang der Reise befinden. Was gehört aber dazu, bzw. welche Stichworte liest man in diesem Umfeld häufig? Kreislaufwirtschaft, Energiemanagement, Ressourcenplanung, Abwallwirtschaft, Zertifikatehandel oder nachhaltige Rohstoffe, um nur einige Themen zu nennen. Ich behaupte jetzt einfach mal, dass viele mittelständische Unternehmen einen Teil davon bereits auf der Agenda haben. Aber diese Themen werden dort als Nebenaufgaben bei den klassischen Führungskräften geparkt und nicht ernsthaft genug angegangen. Wenn das Bewusstsein für Klimaschutz aber weiter steigt, dann kann die Abwallwirtschaft oder die Ressourcenplanung nicht vom Fertigungsleiter mit verantwortet werden oder die Entwicklungsleiterin sich auch mit Kreislaufwirtschaft oder klimafreundlichen Materialien beschäftigen. Das muss ganzheitlich betrachtet werden und daher werden vermutlich in Zukunft hierfür eigene, unternehmensübergreifende Führungskräfte für abgestellt werden müssen.
Zukünftige Jobs durch Megatrends
Welche konkreten Job entstehen jetzt aber aufgrund der Veränderungen? Die Frage ist nicht einfach, weil wir noch nicht wissen, wie die Veränderungen genau aussehen. Hierzu gehe ich wieder zunächst auf die Digitalisierung und dann auf den Klimaschutz ein.
Führungskraft im digitalen Zeitalter
Im Bereich der Digitalisierung wird häufig von einer neuen C-Level Position gesprochen. Der CDO oder Chief Digital Officer übernimmt damit auf aller höchster Ebene die Steuerung der Digitalen Transformation. Das ist aber sicherlich nicht die einzige Stelle und auch nicht die Stelle in der eine frische promovierte Person einsteigt. Außerdem sind Unternehmen, die einen CDO besitzen bereits sehr weit in dem Bewusstsein und dem Umgang mit den Herausforderungen. Da viele KMU´s aber noch nicht wissen, wie sie mit der Transformation genau umgehen sollen und wie viele Ressourcen sie jetzt wirklich reinstecken müssen, ist vermutlich eine Art Stabsstelle für Digitalisierung der häufigste Jobeinstieg für junge Talente. Dort steuern sie die Digitale Transformation und arbeiten aktiv an ihr mit. Sie berichten an die Geschäftsleitung und diese trifft dann die finale Entscheidung.
Zwischen diesen beiden Extremen liegen sicherlich weitere Stellen. Ohne, dass es jetzt einheitliche Bezeichnungen dafür gibt, möchte ich zwei Beispiele nennen. Zum Beispiel könnte es ein Team geben, welches die gesamte Fertigung als digitalen Zwilling aufbaut. Der Zwilling wird über Daten aus der Fertigung gefüttert und liefert ein genaues Abbild der Istsituation. Gleichzeitig kann der Zwilling aber auch Szenarien der Zukunft durchspielen. Somit können Preise und Liefertermine live an den Vertrieb übergeben werden oder die Fertigungsleitung kann bei der Umstellung der Fabrik unterstützt werden. Als Head of Digital Twin – Factory wäre man als Führungskraft für diese Abteilung zuständig.
Eine weitere Möglichkeit wäre der Produktmanager – IIoT. Immer mehr Unternehmen entwickeln smarte Werkzeuge, Maschinenelemente oder ähnliches. Sensorische Spannmittel senden ihre Spannkraft kabellos an ein Gateway oder Werkzeuge liefern die Schwingungsdaten an die Steuerung, um Ratterschwingungen beim Drehen zu umgehen. Selbst Nischenanbieter, wie unser Partner die ECOROLL AG Werkzeugtechnik, entwickeln solch smarte Lösungen für ihre Produkte. Als Produktmanager für solche Systeme ist man für die Entwicklung und die Datenmonitarisierung verantwortlich und baut neue Geschäftsfelder auf.
Als Führungskraft das Klima retten?
Ok, die Überschrift ist vielleicht etwas übertrieben, aber ihr wisst, wo die Reise hingehen soll. Für den Bereich Klimaschutz gibt es noch nicht wirklich etablierte Jobtitel, die ich finden konnte. Aus meiner Sicht ist das aber eine historische Chance. Wer sich als promovierte Produktionswissenschaftlerin für das Thema interessiert und aktiv etwas gegen den Klimawandel tun möchte, hat jetzt die einmalige Chance sich aktiv in die Entstehung neuer Jobs einzubringen. Was wäre zum Beispiel mit einem CCeO, einem Chief Cycle Economy Officer oder einem Head of Carbon Dioxide Management? Klingt irgendwie abstrakt, aber mit ein bisschen Fantasie kann man beiden Positionen eine klare Aufgabe zuordnen. Überlegt euch, welche Aufgaben ihr in einem einem Unternehmen abteilungsübergreifend übernehmen könnt und wie man diese zusammenfassen könnte. Gerade im Mittelstand kommt man häufig über das Institut mit den Geschäftsführenden ins Gespräch. Sät bei ihnen den Samen für eine solche Stelle, zeigt den Benefit für das Unternehmen auf und schafft euch eure eigene Stelle. Ich weiß, das klingt jetzt zu einfach, aber ich bin davon überzeugt, eure Generation ist gerade zur richtigen Zeit am richtigen Ort für einen solchen Move. Was habt ihr zu verlieren? Eigentlich jedes Unternehmen möchte sich heute den Titel „Klimaneutral“ aufsetzen. Warum nicht die Gunst der Stunde nutzen?
Quellenangabe:
https://www.bpm.de/sites/default/files/bpm_2018_service_digitale-bildung_21x21_web.pdf
Autor: Oliver Maiß
Hallo, mein Name ist Oliver und ich bin Gründer und Initiator von Produktionstalente. Ich habe selbst 6 Jahre am IFW in Hannover promoviert und kenne daher viele Herausforderungen vor, während und nach der Promotion. Ich schaffe gerne Möglichkeiten, um Menschen miteinander zu vernetzen, weil ich davon überzeugt bin, dass wir aus jeder Begegnung etwas wertvolles für uns mitnehmen können. Und vielleicht konntest du ja jetzt auch schon etwas von mir mitnehmen.