Svenja Reimer – Als Mathematikerin entwickelt sie die autonome Werkzeugmaschine

Als Quereinsteigerin zog es die Stuttgarterin nach dem Mathematikstudium nach Hannover ans Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen. Im Gespräch erzählt uns Svenja Reimer, warum sie die Vielfalt von unterschiedlichen Fachrichtungen in Projekten so schätzt und warum sie die Promotion in der Produktionstechnik der Mathematik vorzieht. Heute forscht sie an der Entwicklung einer autonomen Werkzeugmaschine und bereitet sich auf die Promotion vor. Wir sprechen aber auch über das wichtige Thema von Frauen in Führungspositionen gerade im technischen Umfeld. Als Abteilungsleiterin arbeitet sie täglich nahezu mit nur männlichen Kollegen an neuen Technologien für die Werkzeugmaschinenbranche und erklärt diese auch schon mal dem deutschen Wirtschaftsminister Peter Altmeier. Wir sind uns sicher, Svenja wird nach ihrer Promotion am IFW eine innovative Kraft in der deutschen Industrie und dabei ein Vorbild für hoffentlich viele weitere Frauen in der Produktionstechnik sein.

Hallo Svenja, vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst, um mir ein paar Fragen zu beantworten.

Hallo Olli, schön, dass es mit dem Interview klappt. Ich bin gespannt was du für Fragen hast.

Ich beginne immer gerne erstmal mit einer Vorstellung von dir. Dann wissen die Lesenden, mit wem sie es hier zu tun haben. Also erzähl doch kurz etwas über dich. Wo kommst du her? Wer bist du? Was machst du? 

Ursprünglich komme ich aus Süddeutschland, aus der Nähe von Stuttgart und habe dort an der Universität Stuttgart Mathematik mit dem Schwerpunkt Informatik im Bachelor und Master studiert. Um auch praktische Erfahrungen zu sammeln, habe ich während des Studiums bei der Siemens AG im Bereich der Digitalen Fabrik (heute Digital Industries) in der Softwareentwicklung gearbeitet und dort auch meine Bachelor und Masterarbeit geschrieben. Noch während meiner Masterarbeit bin ich dann auf die Stellenausschreibung für eine Promotion zum Thema „Intelligente Werkzeugmaschine“ am IFW an der Leibniz Universität Hannover gestoßen und war sofort von dem Thema begeistert. Gott sei Dank hat es dann auch direkt mit der Bewerbung geklappt. Inzwischen arbeite ich seit fast drei Jahren am IFW im Bereich der Maschinen und Steuerungen und bin seit Januar 2020 Abteilungsleiterin der Abteilung Prozessüberwachung und Regelung. 

Svenja Reimer, M. Sc.

Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin am Institut für Fertigungstechnik und Werkzeugmaschinen (IFW) an der Leibniz Universität Hannover


Berufliche Laufbahn:

  • Student Volunteer OOP (Konferenz für Objektorientierte Programmierung) 2015
  • Tutorin für C++ und numerische Mathematik 
  • Werkstudentin Siemens Digital Factory R&D (2014-2018)
  • Teilnahme Siemens Future Minds Student Program (2017-2018)
  • Wissenschaftliche Mitarbeiterin am IFW seit 2018

Ausbildung:

  • Bachelor of Science Mathematik mit Schwerpunkt Informatik an der Universität Stuttgart
  • Master of Science Mathematik mit Schwerpunkt Informatik an der Universität Stuttgart

Ok, und wie kommst du als Mathematikerin jetzt auf die verrückte Idee in der Produktionstechnik zu promovieren? Ich meine, ich stelle mir die Promotion in den beiden Fachbereichen ja vollkommen unterschiedlich vor, was reizt dich jetzt an der Produktionstechnik? 

Durch meine Arbeit bei Siemens habe ich ja schon während meines Studiums etwas Erfahrung im Bereich der Produktionstechnik sammeln dürfen. Das Zusammenspiel aus komplexen Algorithmen und ausgefeilter Technik hat mich dabei besonders begeistert. Faszinierend an der Produktionstechnik finde ich, dass sie die Grundlage für fast alle technischen Errungenschaften ist. Ähnlich wie die Mathematik, steckt auch die Produktionstechnik in fast allem, was wir im Alltag – ohne groß darüber nachzudenken – verwenden. Leider war ich in der Softwareentwicklung und mit dem theoretischen Studium doch etwas weit weg von den realen Maschinen. Zwar hatten wir am Standort auch eine kleine Werkzeugmaschine für Testzwecke, allerdings durfte diese nur durch speziell geschultes Personal bedient werden. Ich wollte gerne mehr über die Technik und die praktische Anwendung der Maschinen erfahren und das nicht nur von der abstrakten Seite betrachten. Mit der Promotion am IFW habe ich jetzt die Chance auch andere Blickwinkel kennen zu lernen und gleichzeitig das theoretische Wissen aus dem Studium an realen Werkzeugmaschinen praktisch anzuwenden. Es macht extrem viel Spaß auch selbst an den Maschinen tätig zu werden und sich in die vielfältigen Themen aus dem Bereich der Produktionstechnik einzuarbeiten.  

Du hast mit deinem Promotionsthema ja auch irgendwie ein super spannendes Thema ausgewählt. Für mich klingt es ein bisschen, wie das Autonome Fahren beim Auto. Wenn wir das in der Industrie einmal umsetzen können, haben wir wirklich viel erreicht. Wie schätzt du das ein? Was sind die Hindernisse und die besonderen Herausforderungen dabei? Und vor allem, wie hoch schätzt du die Chance für einen flächendeckenden praktischen Einsatz?

Bei meinem Promotionsthema geht es um die „intelligente Werkzeugmaschine“, die den aktuellen Prozess selbständig bewertet und Prozessparameter autonom an die aktuelle Situation anpasst und optimiert. Am Institut unter Laborbedingungen und für einfache Bauteile funktioniert das auch schon ganz gut. Ich bin mir sicher, dass die autonome Werkzeugmaschinen irgendwann Realität sein wird. Bis dahin ist es allerdings noch ein sehr langer Weg. Für den flächendeckenden Einsatz sind noch einige Herausforderungen zu bewältigen. Grundlage für autonome Maschinenfunktionen ist eine robuste und sensitive Prozessüberwachung, auch für kleine Losgrößen. Ich denke, hier werden durch den immer flächendeckenden Einsatz von Sensoren und der Datenauswertung mit maschinellem Lernen in den nächsten Jahren viele neue Lösungen auch kommerziell verfügbar sein. Bis sich diese allerdings in der Industrie wirklich etabliert haben wird noch einige Zeit vergehen. Für den Einsatz autonomer Maschinenfunktionen muss ebenfalls zunächst die Akzeptanz bei den Nutzern geschaffen werden. Aus meiner Sicht geht das nur, wenn die Funktionen einfach zu bedienen sind, extrem robust und zuverlässig arbeiten und somit einen deutlichen Mehrwert darstellen. Um das für beliebige Werkstücke zu gewährleisten ist noch einiges an Entwicklungsarbeit notwendig. Eine zusätzliche Herausforderung sind der Mangel an standardisierten Schnittstellen für den Datenaustausch und die Anpassung von Prozessparametern. Hier fehlt es bislang noch an Geschäftsmodellen für das politische Umdenken der großen Firmen zu mehr Offenheit.

Foto: Nico Niemeyer / Kritische Überprüfung der autonomen online-Bahnanpassung mit NC-Code – Jeder Implementierungsfehler kann Schäden an der Maschine nach sich ziehen

Ich bin gespannt, ob du recht hast. Ich habe durch Produktionstalente ja viel mit wirklich herausragenden Talenten der Produktionstechnik zu tun. Bei dir fasziniert mich total die Kombination aus deiner Herkunft als Mathematikerin, deinem Promotionsthema und deiner Tätigkeit als Führungskraft am Institut. Ich glaube du stichst in dieser leider immer noch männlich-dominierten Branche wirklich durch die Vielfalt hervor. Wie wichtig ist dir das Thema im beruflichen Kontext? Ich kann mir vorstellen, dass du aus dem Studium eine ganz andere Arbeitsweise gewohnt bist. 

Ja, der Sprung von der Mathematik in den Maschinenbau war auch erstmal eine große Veränderung. Die Arbeitsweise zwischen den beiden Fachbereichen unterscheidet sich schon deutlich. Während in der Mathematik viel Wert auf eine saubere Beweisführung, klare Definitionen und die Theorie an sich gelegt wird, stehen im Maschinenbau die praktische Anwendung und die experimentelle Validierung im Vordergrund. Hier finde ich es besonders spannend diese beiden „Welten“ zusammenzubringen. Nur selten passt die Theorie auch zur Praxis und häufig wird das Potential der abstrakten Theorie für die Anwendung übersehen. Durch die Zusammenarbeit mit Kollegen aus unterschiedlichsten Fachbereichen können hier tolle neue Innovationen entstehen.

Das Thema Vielfalt ist für mich sehr wichtig, nicht nur vor dem fachlichen Hintergrund. Je nach Aufgabenstellung und Situation sind unterschiedliche Arbeitsweisen notwendig. Teams mit einer hohen Vielfalt können hier flexibler reagieren und voneinander lernen.     


Anzeige

ECOROLL AG Werkzeugtechnik

Durch die Verbesserung der Bauteileigenschaften leistet das Glatt- und Festwalzen einen wesentlichen Beitrag zur Steigerung der Ressourceneffizienz und Nachhaltigkeit. Die ECOROLL AG Werkzeugtechnik ist als führender Hersteller auf dem Gebiet der mechanischen Oberflächenbearbeitung tätig und unterstützt seine Kunden bei der Optimierung der Fertigungsprozesse. Als Innovationsführer setzt ECOROLL bei der Entwicklung auf die eigene Erfahrung in der klassischen Werkzeugkonstruktion gepaart mit neuen digitalen Lösungen.

Weitere Informationen hier oder über unsere Sponsorenseite.


Was schätzt du denn so an der Vielfalt? Ich würde das gerne noch etwas detaillierter verstehen. Was bedeutet Diversität für dich genau? Ich glaube beruflich ist der Begriff ja irgendwie anders besetzt als gesellschaftlich. Oder kann man das gar nicht so trennen?  

Vielfalt ist in meinen Augen mit einer der wichtigsten Treiber für gesellschaftliche und technische Innovationen. Gesellschaftlich bezieht sich der Begriff meistens auf Geschlecht, Alter, Religion oder Herkunft.  Im Arbeitsalltag geht es für mich dabei eher um persönliche Ansichten, individuelle Arbeitsweisen und fachliche Hintergründe. Die Einordnung von Personen in einzelne Gruppen, wie z. B. nach ihrer Herkunft oder ihrem Geschlecht, verleitet schnell zu Vorurteilen und Fehleinschätzungen. Vielfalt im beruflichen Alltag bedeutet für mich die Chance Herausforderungen durch unterschiedliche Herangehensweisen, Ansichten und Expertisen schneller und besser zu meistern. Gleichzeitig bedeutet es allerdings auch, die persönlichen Bedürfnisse der einzelnen Personen zu berücksichtigen und eine gemeinsame Basis für die Zusammenarbeit zu schaffen.

Foto: Nico Niemeyer / Besuch von Arbeitsminister Altemeier am IFW: Diskussionen darüber, wie die aktuellsten Forschungsergebnisse zur Digitalisierung in den Mittelstand transferiert werden können

Versteh mich da nicht falsch, ich will eigentlich nicht so sehr bei diesem Thema bleiben, aber ich kann mir vorstellen, dass du es als Frau und Abteilungsleiterin schon einmal nicht so leicht hast, oder? Und dann hast du noch keinen Hintergrund aus dem Maschinenbau und gehst völlig anders an Herausforderungen ran. Ich stelle mir das wirklich schwer vor, sich durchzusetzen und die Kollegen davon zu überzeugen mitzugehen. Stimmt das oder habe ich eine falsche Vorstellung davon? Wie gehst du damit um? 

Tatsächlich habe ich bisher überwiegend positive Erfahrungen gemacht und kann jede Frau nur ermutigen, die auch im technischen oder naturwissenschaftlichen Bereich arbeiten möchte. Klar gibt es immer mal Typen, die unbedingt irgendwelche blöden Sprüche loswerden müssen. Wichtig ist es dann, sich nicht davon verunsichern zu lassen und selbstbewusst damit umzugehen. Bei den Kollegen am IFW habe ich solche Situationen bislang, Gott sei Dank, noch nicht erlebt. 

Ich habe ein tolles Team am IFW, in dem wir uns gegenseitig respektieren und unterstützen, unabhängig vom Geschlecht. Bei Entscheidungen versuche ich das Team möglichst gut einzubinden und Sachverhalte transparent zu kommunizieren. Wenn alle mit eingebunden werden, ist es auch nicht schwierig Ideen voranzutreiben. Bisher habe ich nicht den Eindruck, dass es den männlichen Kollegen leichter fällt sich durchzusetzen und das Team mitzunehmen. Natürlich gibt es immer wieder herausfordernde Situationen, in denen knappe Deadlines eingehalten und Dinge einfach fertig werden müssen und nicht immer klappt alles, wie man sich das vorgestellt hat. Das geht allerdings allen so, egal ob Mann oder Frau. Das Wichtigste ist, solche Situationen ehrlich zu reflektieren und daraus zu lernen. 

Wenn alle mit eingebunden werden, ist es auch nicht schwierig Ideen voranzutreiben.

Echt super, wie du das managest. Ich habe da wirklich großen Respekt vor dir. Ich glaube, dir stehen damit wirklich beruflich viele viele Türen offen und wir werden in Zukunft noch einiges von dir hören. Damit leite ich auch direkt noch zum letzten Themenblock über, den ich mit dir besprechen wollte: Die berufliche Karriere. Wie soll es bei dir nach der Promotion weitergehen? Hast du schon eine Idee in welche Richtung du dich orientieren möchtest? 

Nach der Promotion möchte ich auf jeden Fall weiter in der Forschung und Entwicklung tätig sein. Durch meinen fachlichen Hintergrund im Bereich der Mathematik und Informatik zusammen mit dem am IFW erworbenen ingenieur-wissenschaftlichen Fachwissen kann ich mir sehr gut einen Arbeitsplatz an der Schnittstelle zwischen Soft- und Hardware vorstellen. Hier möchte ich auch in Zukunft die Entwicklung neuer Methoden und Algorithmen und deren Einsatz in technischen Systemen vorantreiben.

Gut, da gibt es doch bestimmt einige Arbeitgeber, die für dich in Frage kommen. Was müsste dir denn ein Unternehmen bieten, damit du dort anfangen würdest? Beschreib doch mal deine Wunschliste, vielleicht meldet sich ja gleich ein passendes Unternehmen, weil es alles erfüllt? 

Wichtig für mich ist auf jeden Fall ein abwechslungsreicher Arbeitsplatz mit Möglichkeiten auch selbst Ideen einzubringen und Verantwortung zu übernehmen. Auch ein gutes Betriebsklima und eine kollegiale Arbeitsatmosphäre sind maßgebend. Daneben spielen auch Möglichkeiten zur beruflichen Weiterentwicklung und das Angebot von entsprechenden Maßnahmen zur fachlichen und persönlichen Fortbildung eine wichtige Rolle. Natürlich sind auch „harte“ Fakten, wie das Gehalt und zusätzliche Leistungen, z. B. zur Altersvorsorge, bei der Berufswahl mit entscheidend.

Danke Svenja, das war sehr lehrreich. Wir waren ja sogar noch kurz Kollegen und ich muss sagen, ich durfte dich gerade nochmal deutlich näher kennenlernen. Danke für deine Offenheit, es hat mir großen Spaß gemacht. 

Danke Olli, das Interview hat mir auch großen Spaß gemacht. Ich freue mich schon auf das nächste, wahrscheinlich digitale, Treffe. Ich finde es super, wie du mit deiner Plattform „Produktionstalente“ den Austausch zwischen Promovierenden in der Produktionstechnik förderst und immer gute Tipps für den erfolgreichen Abschluss der Dissertation hast. 

Alle Fotos in diesem Beitrag stammen von Nico Niemeyer – Vielen Dank für die Bereitstellung der Bilder.

Autor: Oliver Maiß

Hallo, mein Name ist Oliver und ich bin Gründer und Initiator von Produktionstalente. Ich habe selbst 6 Jahre am IFW in Hannover promoviert und kenne daher viele Herausforderungen vor, während und nach der Promotion. Ich schaffe gerne Möglichkeiten, um Menschen miteinander zu vernetzen, weil ich davon überzeugt bin, dass wir aus jeder Begegnung etwas wertvolles für uns mitnehmen können. Und vielleicht konntest du ja jetzt auch schon etwas von mir mitnehmen.