Alle Promovierenden kennen das. Ob in den Naturwissenschaften, den Sozialwissenschaften oder auch in den Ingenieurfächern, die eigenen Ziele beim Schreiben erfüllen die Wenigsten. Ich spreche ich hier von diesen typischen Zielen zum Jahresbeginn: „Am Ende des Jahres sind alle Experimente abgeschlossen!“ oder „Am Ende des Jahres habe ich eine erste Version fertig!“ Gerade in der Produktionstechnik ist die Promotion, oder besser die Tätigkeit am Institut, stark durch industrielle Kooperationen geprägt. Die Institute sind meist sehr groß und die ProfessorInnen haben häufig nicht den primären Fokus auf den Dissertationen der WiMi´s. Dadurch haben die Promovierenden hier oft eine Vielzahl anderer Aufgaben zu erledigen, so dass im „Tagesgeschäft“ einfach keine Zeit für die eigene Promotion bleibt. Hier gilt es clever zu arbeiten und sich ein eigenes produktives System aufzubauen.
Durch diese Vielzahl an Projekten und Aufgaben, wird es den Promovierenden sehr leicht gemacht einen großen Fehler zu begehen. Sie können ihre Dissertation aufschieben. Prokrastination wird als pathologische Störung bezeichnet und beschreibt ein unnötiges Verschieben mit einer Aufgabe anzufangen oder die Aufgabe ständig zu unterbrechen, so dass sie nicht rechtzeitig oder nur durch extremen Arbeitseinsatz erledigt werden kann.
Jetzt sind die wenigsten Menschen absichtlich AufschieberInnen. Das gilt vor allem nicht für promovierende ProduktionstechnikerInnen! Hier handelt es sich ja eigentlich genau um das Gegenteil. Hochgradig motivierte Menschen mit einem hohen Maß intrinsischer Motivation. Aber das System in dem sie arbeiten bedingt dieses Verhalten. Die Angst bei einem der vielen Projekte eine wichtige Information zu verpassen, den einen Post auf LinkedIn über die neuste Innovation im Bereich XY zu übersehen oder auf eine Mail von einem Industriepartner nicht schnell genug zu reagieren wird heute als FOMO (Fear-of-missing-out) bezeichnet. Zusätzlich ist es nicht schwer eine andere, jetzt gerade wichtigere Aufgabe zu finden. In irgendeinem Projekt brennt es schon irgendwo. So findet jede und jeder schnell ein neues, dringenderes Problem, das gerade gelöst werden muss (Next shiny object syndrome).
Das beste wäre natürlich sich einfach zu fokussieren. Cal Newport spricht in seinem Buch „Deep Work“ von einer Fokuszeit. Man soll sich einen langen Zeitraum schaffen, in dem man nichts anderes macht, als an einem Projekt zu arbeiten. Mails aus, Telefon aus, Bürotür zuschließen, Noise-cancelling Kopfhörer auf und los! Das umzusetzen ist aber verdammt schwer oder auch unmöglich. Vermutlich ist Fokus die neue Superkraft, die High PerformerInnen brauchen. In Zukunft sind nicht mehr diejenigen erfolgreich, die 1.000 Dinge gleichzeitig und oberflächlich tun, sondern die, die sich auf eine Sache vollkommen konzentrieren und diese dann mit Perfektion erledigen.
Was können wir jetzt aber machen, um erfolgreich zu sein, auch wenn wir uns nicht einen Monat am Stück fokussieren können und wir diese Superkraft (noch) nicht haben? Wir müssen es schaffen, die Aufgaben zu verkleinern und so den Fokus auf kleinere Teile des Gesamtprojekts legen zu können. Wir müssen uns ein System bauen, mit dem wir diesen kleinen Fokus genau dort behalten, wo er hingehört.
Bei mir haben drei Dinge geholfen, meine Fähigkeit zu Fokussieren zu verbessern:
1. Kleinteilige Ziele definieren
2. Den nächsten Arbeitsschritt aufschreiben
3. Sich verantwortlich machen
Diese Dinge entfalten ihre Wirkung in der gegeben Reihenfolge exponentiell. Das bedeutet, kleinteilige Ziele machen es besser, wenn ich es aber schaffe, mich für die Erreichung des Ziels verantwortlich zu machen, dann explodiert die Produktivität.
Kleinteilige Ziele bedeutet im Grund nichts anderes, als sich nicht zum Jahresbeginn vorzunehmen, am Ende des Jahres fertig zu sein. Sondern lieber den Fokus auf ein Kapitel in einem kürzeren Zeitraum zu legen. Zum Beispiel könnte es bedeuten, im ersten Quartal den Stand des Wissens vollständig fertig zu haben. Alles andere ist nebensächlich.
Wenn ich ein solch fokussiertes Ziel habe, dann muss ich dafür sorgen, dass ich schnell und regelmäßig daran arbeiten kann. Das heißt, ich sollte jeden Tag ein bisschen daran arbeiten. Hier reicht es vermutlich morgens eine Stunde oder sogar nur eine halbe Stunde ungestört daran zu arbeiten. Das Problem ist, dass ich bei so kurzer Fokuszeit keine Zeit für die Einarbeitung mehr habe. Ich muss also direkt wissen, was ich tun muss. Dafür muss ich den nächsten Schritt festhalten. Sprich ich muss am Ende der Arbeitszeit schriftlich festhalten, was ich Morgen tun werde, wenn ich den Rechner einschalte. Hier muss es eine konkrete Handlung sein. Nichts Oberflächliches, sondern eine direkte Anweisung. Ein Befehl an sich selbst!
Der dritte Schritt ist dann die eigentliche Explosion. Macht euch verantwortlich. Was heißt das nun? Wer sich Dinge selbst vornimmt, muss schon sehr willensstark sein, sich immer ohne Konsequenzen daran zu halten. Andere Menschen können uns viel besser dazu zwingen. Wir brauchen einen Tritt in den A***! Beliebt sind hier die Promotionsgruppen im Institut. Die sind ein guter Ansatz, aber sie haben ein Problem. Es gibt keine Konsequenzen. Und genau das meine ich damit. Macht euch selbst für Konsequenzen verantwortlich. Schafft euch eine Konsequenz, wenn ihr das Ziel nicht erreicht. Hier können Termine mit der Professorin oder dem Professor hilfreich sein. Macht einen Termin zum Ende des Quartals, in dem ihr z. B. den Stand des Wissens vorstellt.
Leider nicht so bekannt, aber umso wirkungsvoller sind Mastermindgruppen. Hier handelt es sich um eine Gruppe von Leuten, die sich gegenseitig bei der Erreichung ihrer Ziele unterstützen und auch kontrollieren. Eine interne Mastermindgruppe ist im Grunde die Promotionsgruppe mit Kollegen. Der Vorteil einer externen Mastermindgruppe ist, dass es unangenehm ist, keine Fortschritte vorzustellen. 4 andere Menschen haben sich beispielsweise vor 14 Tagen für 20 Minuten den Kopf zerbrochen, wie du weiter kommst. Sie geben dir am Ende eine konkrete Aufgabe und du sagst heute, dass du es nicht geschafft es hast? Das ist super unangenehm. Wenn das Mastermind, dann auch noch finanzielle Konsequenzen hat, wird es nochmal schlimmer. Du hast vielleicht viel Geld für die Teilnahme an der Mastermindgruppe bezahlt und dann kommst du nicht weiter, weil du einfach nicht dran gearbeitet hast? – Wie doof!
Diese Art von Konsequenzen schaffen es, uns anzutreiben. Es geht hier nicht darum sich zu verändern oder zu verbiegen. Es ist eher eine Möglichkeit sich selbst auszutricksen und bestehende negative Energie in etwas Positives umzuwandeln. Wer das regelmäßig macht, wird seine Fähigkeit zu Fokussieren trainieren und schneller ans Ziel kommen. Auch, wenn viele andere Aufgaben sehr laut schreien – das gilt dann auch später im Berufsleben.