Nach dem Studium noch weiter an der Uni bleiben und promovieren oder doch lieber gleich „richtig“ arbeiten in der Industrie? Diese Frage stellen sich bestimmt viele IngenieurInnen gegen Ende des Studiums. Ist es da nicht gut, dass beides geht? Promovieren in der Industrie.
Ich stand dem Thema lange Zeit eher skeptisch gegenüber, um ehrlich zu sein: „Also, ich habe ja „richtig“ promoviert, mit all den Hochs und Tiefs an einem Institut. Die in der Industrie haben ja ganz andere Bedingungen als wir und auch ganz andere Mittel. Und wenn man mal ehrlich ist, dann ist das ja der einfachere Weg.“
Aber stimmt das überhaupt? Sind meine Gedanken, da nicht etwas übertrieben oder ist eine Industriepromotion sogar die bessere Variante? Um diese Frage zu klären, habe ich mit Dr.-Ing. Sascha Sturm gesprochen.
Kennengelernt habe ich Sascha während meiner Institutszeit bei einem gemeinsamen Projekt mit seinem früheren Arbeitgeber, der Volkswagen AG. Sascha hat dort als Projektingenieur in der Entwicklung der Antriebsgelenkwelle gearbeitet und im Rahmen dieser Tätigkeit promoviert. Heute ist es als Product Owner bei Scania VC AB in Schweden unterwegs und baut Busse und LKW.
Im Gespräch wollte ich von ihm wissen, was aus seiner Sicht die Vorteile einer Industriepromotion sind und warum das Thema auch für mittelständische Unternehmen interessant sein kann.
Hallo Sascha. Schön, dass du dir die Zeit für das Interview nimmst. Wir wollen heute ja ein bisschen über die Industriepromotion reden. Ein Thema zu dem ich tatsächlich eine eher skeptische Meinung habe. Von daher bin ich sehr gespannt, was du uns so erzählst.
Hallo Oliver, ich hoffe ich kann dir dabei helfen.
Bevor wir anfangen, erzähl doch erstmal ein bisschen was von dir? Wer bist du, was machst du, wie sahen deine beruflichen Stationen bis hierhin aus?
Meinen Namen weißt du ja schon, also kann ich direkt damit weiter machen was ich heute mache. Momentan bin ich in Schweden bei Scania angestellt als System owner oder auch Product owner für die Steuergeräte Software des aktuellen elektrischen LKW’s. Bevor ich diesen Schritt gewagt habe, war ich bei der Volkswagen AG in der Entwicklung für Antriebsgelenkwellen angestellt. Davor hatte ich meinen Master in Mechanical engineering an der TU Berlin vollendet. Noch davor war ich bei Hasse & Wrede, gehört zur Knorr-Bremse, als Entwicklungsingenieur für Viskos Drehschwingungs- Dämpfer angestellt. Dies war mir durch mein „erstes“ Studium zum Dipl. Ing. Fahrzeugtechnik an der FHTW-Berlin möglich.
Wie kam es zu deiner Promotions bzw. deinem Promotionsvorhaben?
Durch meine Freundin. Sie hatte zur selben Zeit wie ich Ihren Master gemacht und sie hatte sich zur Promotion entschlossen. Ich fand es interessant und dachte mir: „Ich probiere es mal!“ Ich wusste auch, dass VW Promotionen anbot und hatte mich neben Ingenieursstellen auch auf Promotionsstellen dort beworben. Nach einem Vorstellungsgespräch für eine Promotionsstelle habe ich es mir aber erst einmal richtig durch den Kopf gehen lasse, ob ich es überhaupt möchte. Ein paar Tage später hatte ich dann wieder ein Vorstellungsgespräch bei VW, jedoch für eine Ingenieursstelle und dort haben mir die Personen gegenüber gesagt, dass sie Dr. „sowieso“ unterstellt sind. Den Namen weiß ich leider nicht mehr. Da hat es auf jeden Fall für mich klick gemacht.
Warum hast du dich dann für eine Promotion bei Volkswagen entschieden und nicht für die klassische Institutspromotion?
Klar wegen der Bezahlung und dem Punkt, dass man einen Fuss in der Tür hat.
Und wie sah die Promotionszeit dann bei dir konkret aus? Warst du die ganze Zeit in Wolfsburg oder nur zu bestimmten Tagen und den Rest im Institut in Berlin?
Ich war die ganze Zeit über in Wolfsburg und habe eigentlich drei- bis viermal im Jahr bei meinem betreuenden Professor einen Status berichtet.
Wenn du in Wolfsburg warst, hattest du dann viel Zeit für die Promotion oder warst du eher Mitarbeiter, der zusehen musste, die Dissertation zu schreiben?
Was ich meine, ich kann mir vorstellen, dass es für den Chef und die Kollegen schwierig ist, mit jemandem umzugehen, der zwar mitarbeitet, aber dann doch irgendwie seine eigene Agenda verfolgt. Oder irre ich mich da?
Mein Tagesgeschäft hat sich recht gut mit meiner Promotion gedeckt. Somit hatte ich ausreichend Zeit für mein Promotionsthema. Aber bei VW war es auch so, dass man die Hälfte seiner Arbeitszeit auf die Promotion verwenden soll und die andere Hälfte für das Tagesgeschäft. Meine Abteilung war aber auch hinter meinen Ergebnissen her, somit hatte ich schätzungsweise 80-90% Zeit für mein Thema. Das war aber leider nicht bei allen Promotionsstellen bei VW der Fall. Ich habe auch von anderen Fällen gehört. Und nein, ich wurde immer als volles Teammitglied betrachtet und auch einbezogen und hatte auch meine Aufgaben, die ich abgearbeitet habe.
Dr.-Ing. Sascha Sturm
Product Owner Steuergeräte Software – Scania VC AB
Berufliche Laufbahn:
- Scania CV AB – Product Owner
- Volkswagen AG – Entwicklungsingenieur Antriebsgelenkwelle
- Hasse & Wrede (ein Unternehmen der Knurr-Bremse AG) – Entwicklungsingenieur Viskos Drehschwingungs-Dämpfer
- Bosch Car Services – Kfz-Mechaniker
Ausbildung:
- Promotion Maschinenbau (Dr.-Ing.) – TU Berlin/Volkswagen AG
- Studium Mechanical Engineering (M.Sc.) – TU Berlin
- Studium Fahrzeugtechnik (Dipl.-Ing.) – FHTW-Berlin
- Ausbildung zum Kfz-Mechaniker – Bosch Car Services
Wie war die Zusammenarbeit zwischen deinem Arbeitgeber Volkswagen und dem Professor in Berlin? Gab es dort viel Abstimmung oder war Prof. Meyer eher zurückhaltend und hat dich und Volkswagen machen lassen?
Mein betreuender Professor Meyer, hat mir und dem Unternehmen die Betreuung überlassen, weil ich ja auch dort hauptsächlich vor Ort war. Für ihn war es jedoch wichtig, dass es auch ein Promotionsthema war und nicht eine „Praktikantenstelle“.
Wieso ein Praktikantenstelle? Hängt das damit zusammen, dass man im Institutsumfeld immer mal wieder hört, dass einer Industriepromotion der wissenschaftliche Tiefgang fehlen soll? Wie siehst du das?
Klar ist dass die Industrie an Dingen interessiert ist, die verkauft werden können und Geld einbringen. Aber dennoch würde ich sagen, dass VW auch an dem wissenschaftlichen Tiefgang interessiert ist, weil sich auch durch diese Erkenntnisse wieder neue Ideen kreieren lassen. Ich hatte nie den Eindruck, dass man alles nur oberflächlich betrachtet hat.
Ok, verstanden. Ich glaube, ich habe jetzt ein besseres Bild von der Industriepromotion und wie der Ablauf sein kann. Ich würde jetzt gerne nochmal drüber sprechen, wie der Nutzen gegenüber der klassischen Promotion ist. Würdest du sagen, dass dich die Industriepromotion besser auf die jetzige Tätigkeit vorbereitet hat?
Schwer zu sagen, weil ich nicht mehr im klassischen mechanischen Bereich unterwegs bin.
Ich kenne selbst tatsächlich nicht viele Menschen die deinen Weg gegangen sind. Aber wenn, dann haben die immer in Kooperation mit einem großen Konzern promoviert. Mir drängt sich die Frage auf, was man danach dann macht. Ist man damit quasi auf eine Karriere im Konzern festgelegt? Oder könntest du jetzt auch gut bei einem KMU arbeiten? Wie ist deine Einschätzung?
Eine Promotionsstelle bei einem großen Unternehmen zu machen bedeutet nicht gleichzeitig, dass man danach auch automatisch dort übernommen wird. Man sollte sich nicht darauf verlassen. Man kann und sollte sich die Zeit nehmen, um sich das Unternehmen anzuschauen und/oder ein Netzwerk aufzubauen. Vielleicht sagt man auch, dass einem das Unternehmen auch nicht passt.
Ok, dann geht es mehr um eine Art verlängerte Kennenlernphase. Und wie des es andersherum? Nutzt eine Industriepromotion nur Konzernen etwas oder würdest du viel mehr mittelständischen Unternehmen empfehlen solche Stellen anzubieten?
Ich würde es auch mittelständischen Unternehmen empfehlen. Jedoch sollten die Spielregeln für beide Seiten absolut klar sein. Bei großen Unternehmen, wie z.B. VW, gibt es Richtlinien an die sich das Unternehmen wie auch der Doktorand zu halten hat.
Ok, verstanden. Aber warum würdest du das empfehlen?
Weil auch durch die Erkenntnisse die während eine Promotion erlangt werden, diese auch einem mittelständischen Unternehmen helfen und diese Voranbringen kann.
Jetzt, wenn du die letzten Fragen nochmal so reflektierst, würdest du rückwirkend wieder eine Industriepromotion machen oder wärst du lieber ans Institut gegangen oder hättest ohne Promotion Karriere gemacht?
Für mich persönlich würde ich wieder eine industrie Promotion machen,
weil diese für mich recht gut lief und mein Chef dahinter stand.
Zum Abschluss noch eine Frage, damit die Leserin oder der Leser eine Entscheidungshilfe hat. Jemand steht jetzt selbst vor der Frage eine Promotion zu starten. Welchen Rat würdest du ihr oder ihm geben, um sich zwischen einer Industriepromotion oder der Institutspromotion zu entscheiden?
Hängt davon ab was der- oder diejenige danach möchte. Ist einem eine nachfolgende Anstellung in der Industrie wichtig, dann eher Industrie. Ist einem eine Karriere in der Akademie wichtig, dann lieber Institut.
Ok, vielen Dank Sascha für die Einblicke und deine ehrlichen Antworten. Ich habe viel über die Industriepromotion gelernt. Ich werde sicher in Zukunft anders auf das Thema blicken.
Danke dir für die Zeit und gerne.